Am 3. April hat sich die NATO entschlossen Georgien und der Ukraine nicht "Membership Action Plan1" aufzunehmen, der durchlaufen werden muss, um Mitglied der NATO zu werden. Kein halbes Jahr später ist Georgien durch russisches Eingreifen um zwei Provinzen, die allerdings sowieso kein besonderes Interesse an der Zugehörigkeit zu Georgien hatten, ärmer.
Nun, zur Ukraine gehört eine Provinz, die sich "autonome Republik Krim" nennt und in der sich das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte befindet. Da liegt natürlich auf den ersten Blick der Gedanke nicht fern, dass Russland der Meinung seien könnte "Aller guten Dinge sind drei." und auch noch für die Unabhängigkeit dieser Halbinsel sorgen könnte.
Was allein die Möglichkeit, dass dieser Gedanke auch in Russlands führenden Köpfen spuken könnte, auslöste, kann man gut hier nachlesen. Es gibt in der Ukraine drei auch immer wieder in der Presse auftretende Figuren, die um die Macht im Staat ringen. Timoschenko und Juschtschenko2 werden nach ihrem Mitwirken in der orangenen Revolution als eher pro-westlich eingeschätzt, Janukowitsch als eher pro-russisch. Wie man in dem Telepolis-Artikel schön nachlesen kann, kommen dann auch erwartete Reaktionen von Juschtschenko, der lieber heute als morgen die Ukraine als NATO-Mitglied sehen würde und gleich mal die Russen durch zusätzliche Auflagen für die Schwarzmeerflotte verärgert (an die sich diese prompt nicht halten), und von Janukowitsch, der das russische Vorgehen in Georgien begrüßt.
Zumindest im Telepolis-Artikel kommt Timoschenko ziemlich gut als objektive Mittlerin weg, sie kritisiert das russische Vorgehen nicht ausdrücklich, begrüßt es aber auch nicht und ist gegen die Schwarzmeerflottenaktion des Präsidenten [Juschtschenko]. Was ihr wiederum den Vorwurf einbringt mit einer Milliarde (!) Dollar vom Kreml gekauft3 worden zu sein.
Meine Meinung: Ich habe das vergangene Heckmeck, besonders im letzten halben Jahr, zwischen Jutschenko und Timoschenko nicht genau verfolgt. Das erschien mir ähnlich mühsam wie bei zwei kleinen Kindern, die auf den jeweils anderen zeigen und "Der/die hat angefangen!" rufen, herauszufinden, wer denn nun der Übeltäter war. Ich halte es auch für unwahrscheinlich, dass da eine (Streit-)Partei ganz unschuldig war. Bestimmt hat der Streit aber der Ukraine nicht gut getan. Wer will schon in ein Land investieren, in dem man, wie wir gesehen haben nicht ganz zu Unrecht, immer vemuten muss, dass die Regierung sich auflöst. Und wie soll jemand die Korruption bekämpfen, wenn er/sie damit beschäftigt ist, sich mit seinem Rivalen, mit dem man ja eigentlich koaliert hat, zu prügeln.
Ich glaube auch nicht, dass Timoschenko ihre Position vertritt, weil sie sie für objektiv richtig hält. Ich würde es vielmehr wie hier so sehen, dass sie sich möglichst nicht die nächste Wahl vermiesen will.
In der Ukraine herrscht nämlich nicht, wie z.B. in Polen, eine sehr starke Ablehung und Furcht vor Russland vor. Die Politik spiegelt hier, was in gewisser Hinsicht auch ein Zeichen von funktionierender Demokratie ist, durchaus die deutlich unterschiedlichen Meinungen in der Bevölkerung wieder.
Tymoshenko versucht nun mit ihrer sehr diplomatischen Position diese inneren Differenzen zu überbrücken - wenn auch aus eigennützigen Zielen.
Daher halte ich ihre Position auch für die Brauchbarste, trotz der obigen Vorbehalte. Die anderen beiden Parteien können immer nur ungefähr die Hälfte der Bevölkerung hinter sich bringen und durch ihre relativ radikalen Positionen regieren sie dann immer gegen die andere Hälfte4 und das kann meiner Meinung nach nicht gut gehen.
Es scheint mir auch sinnvoll, dass sie (siehe wiederum den Telepolis Artikel) statt der NATO-Mitgliedschaft eher ein Verteidigungsbündnis mit einigen EU-Staaten eingehen will. Denn auf der einen Seite ist die EU in der Ukraine deutlich beliebter als die NATO, auf der anderen Seite wird es Russland weniger ängstigen, da Amerika dann nicht direkt involviert ist. Trotzdem könnte dies aber einen echten Sicherheitsgewinn für die Ukraine bedeuten (wobei der ganze Gedanke mit diesem EU-Verteidigungsbündnis natürlich noch recht unausgegoren ist).
Oh, da hat sich jemand durch den ganzen Text gequält - Danke!
Ach ja, und es tut mir leid, dass ich 50%5 meiner Leserschaft enttäuschen muss - dass mit der Feier zu einem Jahr Bloguntätigkeit wird wohl nichts.
1 Was das überhaupt bedeutet hätte, wenn sie aufgenommen worden wären, ist gar nicht mal klar. Dieser Plan ist nämlich alles andere als ein einheitliche Checkliste von Punkten, gegen die man ein Land prüfen kann, sondern "äußerst flexibel" (siehe
hier). Wie man
damit Willkürlichkeit ausschließen will, erschließt sich mir nicht.
2Ja ich verwende hier mal die deutsche Schreibweise, ist ja schließlich ein deutscher Text, die englische finde ich aber weiterhin hübscher.
3Das steht auch schon im Telepolis Artikel, aber die fantastische Summe von einer Milliarde hat mich dazu verleitet auch noch die Quelle (die im Artikel auch verlinkt wird) anzugeben, auch wenn die Übersetzung grottig ist.
4Natürlich keine exakten Hälften im mathematischen Sinne - es gibt bestimmt auch Leute, denen das ganze vergleichsweise egal ist.
5Ja, es gab extrem viele Reaktionen... Oder gibt's da etwa noch eine andere Möglichkeit wie diese Zahl zustande kam?
cfe - 4. Sep, 05:21